DER HIRTENKNABE UND KAISER KARL IM UNTERSBERG

07.01.2021

Rund um den doch mächtig imponierende Untersberg, der nahe der Stadt Salzburg sich stolz und majestätisch zum Himmel erhebt ist reich an Ereignissen, wundersamen Wesen und sagenhaften Gestalten, die im Innern des Berges zu leben scheinen. Dazu lagern anscheinend noch unermessliche Schätze, die von Zwergen und Riesen bewacht werden. Helden und Fürsten haben dort ihren Sitz und auch die wilden Frauen, die den Menschen an sich wohlgesinnt sind bevölkern den Berg. Doch das größte Geheimnis, das der Berg beschützt, ist der greise Kaiser Karl, der im Untersberg schläft und wartet bis seine Zeit gekommen ist.

Nur selten, man sagt alle hundert Jahre einmal, kann es einem Menschen glücken, in das Antlitz dieses Kaisers zu schauen.

Als einst ein armer Hirtenknabe seine Herde am Fuß des Untersberges weidete, saß er froh gestimmt auf einem bemoosten Stein und schnitzte an seinem Weidenpfeiferl. Ab und zu ließ er einen aufmerksamen Blick auf seine weidenden Lämmer und Ziegen schweifen. Plötzlich stand, wie aus dem Boden gekommen ein zierliches Zwerglein vor ihm. Der Zwerg fragte den Hirtenknaben mit heller Stimme: "He da, lieber Junge, willst du wohl mal den Kaiser Karl im Untersberg anschauen?"

Unerschrocken erwiderte der Knabe: "Das will ich wohl." Er hatte gleich erkannt, dass einer der Untersberger Zwerge vor ihm stand. Es war damals gar nicht so selten, dass diese Zwerge den Menschen über den Weg liefen.

"So komm mit mir!" animierte der Zwerg den Hirtenknabe und ging dem Knaben winkend, voran.

Dieser folgte ihm ohne Zögern durch das dichte Gebüsch und über Felsgeröll und Schluchten, tief hinab in das Innere des Berges, bis sie endlich bei einer eisernen Tür anlangt waren. Sie schien fest verschlossen, aber es war kein Schloss und auch kein Schlüssel zu sehen. Gespannt wartete der Hirtenjunge, was jetzt wohl geschehen werde. Wie sich der Zwerg wohl Eintritt verschaffen werde. Doch der machte nur eine Bewegung mit der Hand, schon gab es einen Ohren betäubenden Krach, die Tür sprang selbständig auf und ehe der Hirte sich's versah, befand er sich im Innern einer großen, prächtigen Halle. Die Halle war aus weitschweifedem, glitzerndem Gewölbe auf vielen mächtigen Säulen. Die Wände der Halle erglänzten von de vielen, reinsten Silber und dazwischen strahlten hellleuchtende Steine.

Ringsum standen Wächter, sie waren stumm und starr, gleich als seien sie aus Granit gemeißelt. Völlig regungslos, steinernen Bildsäulen gleich. Dazu lagerten Ritter und Landsknechte in der Weite des Raumes.

Bal erblickte der Hirtenknabe in der Mitte des ungeheuren Saales den greisen Kaiser auf seinem goldenen Stuhl sitzend. Es war ein mächtiger Tisch mit schwerer Marmor Platte. Eine funkelnde, goldene Krone schmückte das Haupt des Kaisers, seine Augen waren wie zum Schlummern geschlossen. Ein silberweiß glänzender Bart floss breit vom Antlitz des Herrschers herab und hatte sich schon zweimal um den mächtigen Tisch herum geschlungen. Viele edle Herren, Grafen, Fürsten und geistliche Würdenträger, in kostbaren Gewändern, glänzenden Rüstungen saßen um den Kaiser herum. Sie alle schienen müde zu sein, ihre Häupter in die Hände gestützt, auch sie waren stumm und ohne jegliche Bewegung. Sie waren alle gleich ihrem Kaiser in tiefen Schlaf versunken.

Staunend betrachtete der Hirtenknabe all die Pracht und Herrlichkeit, die sich hier seinen Blicken öffnete. In banger Ehrfurcht beugte er die Knie vor der Majestät. Da hob der Herrscher langsam und müde sein Haupt, seine Lider öffnete er nur halb und ein Traum verlorener, verschleierter Blicke trafen den erschaudernden Knaben. Langsam öffnete der Kaiser die Lippen unter dem schneeweißen Bart und eine ehrfurchtgebietende Stimme sagte: "Sprich! Fliegen zur Stunde die Raben noch um den Berg?" Und der Knabe erwiderte demütig: "Sie fliegen noch umher!"

Da senkte der Kaiser schmerzerfüllt sein Haupt, und mit klagender Stimme sprach er: "So muss ich noch weiter schlafen, weitere hundert Jahre!" Seine Augen schlossen sich wieder, er versank in den alten Schlaf und mit ihm erstarrten alle Ritter und Herren, die die Häupter erhoben hatten, als ihr Kaiser erwacht war.

Der Zwerg aber winkte dem Hirtenknaben, dass er ihm folgen müsse und führte ihn still schweigend aus der Halle hinaus und den Weg zurück, den sie vorher genommen sind. Als sie wieder bei der Herde anlangt waren, stellte der Knabe fest, dass die Tiere ruhig auf ihren Hüter gewartet hatte. Zuletzt gab das Männlein dem Hirtenknaben ein Geschenk und verschwand so plötzlich, wie es erschienen war.


Quelle:

Kaiser Karl im Untersberg © Maria Rehm

© Künstlerin Maria Rehm, © Viktoria Egg-Rehm, © Anita Mair-Rehm,

Salzburger Alpenhexe
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